Ich weiß noch, dass ich schon als Kind immer für Gerechtigkeit gekämpft habe. Mobbing, Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit – was habe ich mich da schon als Kind weit aus dem Fenster gelehnt. Wir ändern die Welt nicht, wenn wir unseren Mund halten, habe ich als kleines Kind zu meiner Mutter gesagt und sie widersprach vehement. Erst kürzlich gab es wieder eine Situation, in der ich genau dies zu ihr sagte „Wir müssen über das, was nicht gut läuft, sprechen, sonst wird sich nichts ändern für uns!“ Doch die Angst danach könnte es schlimmer werden und mit den Konsequenzen müsse man dann leben und ach ja eigentlich ist unterm Strich aushalten dann doch die beste Lösung. Mein Ansatz war dies noch nie. Doch ich musste mich bereits als Kind dem ganz schön entgegensetzen.
Es ist, glaube ich, nicht verwunderlich, dass solch ein Kind, dass solch einen hohen Gerechtigkeitssinn empfand, es nur sehr schwer nachvollziehen konnte, dass sie so nah in Kontakt von häuslicher Gewalt kam. Es hat mich zu seiner Frau heranwachsen lassen, die sich nichts, absolut nichts von Männern sagen lässt. Und ja, glaube auch, dass mein Männerbild per se nicht das Beste ist.
Ich habe ein Pflaster auf meine Seele geklebt und immer das wundervolle Licht bewundert, dass durch die Risse meiner Seele schien. Ohne diese, hätte ich das Licht wohl nie sehen dürfen. Ich habe meine Erfahrungen in frühster Kindheit schon früh als Krafttankstelle für mich als Mensch wahrgenommen. Sicherlich nicht alles und es gibt vieles, was nicht gut ist, dass mir erst mit meiner Mutterschaft klar wurde.
Pflaster drauf und weiter?
Die häusliche Gewalt und alles, was mit ihr einherging, ist ein ganz kleiner Teil meines Lebens, aber weit darüber hinaus gibt es Augenblicke, die mich tief verletzt haben. Als Kind habe ich für all das unfassbar viel Schuld und Scham empfunden. Als junge Erwachsene verkroch ich mich unter meine Bettdecke und war der festen Überzeugung, meinen Problemen niemals gewachsen zu sein. Mithilfe einer unfassbar bodenständigen und resoluten Therapeutin, die mich durchs Abitur schliff und für meine Zukunft starkmachte, habe ich den Kopf wieder nach oben bekommen. Danach war klar: Ich will meine Stimme niemals sinnlos vergeuden. Ich will Mut machen. Ich will Menschen inspirieren ihr Leben anzugehen, egal wie dunkel es aktuell aussehen mag. Dann kam Social Media und zu einem kleinen Teil habe ich meine Stimme hier und dort immer erhoben, um zu zeigen: Du bist nicht alleine mit dem, was du fühlst, aber ja!
Mein Leben berührt andere Leben. Es kam zu Konflikten. Und nun hadere ich mit mir. Ich sehe die Frauen, Männer und Kinder im Iran für ihre Überzeugung kämpfen und kann bei keinem Bild meine Tränen zurückhalten. Solch ein Mut, den sie dort Tag für Tag leben. Ich bewundere diese Menschen zutiefst. Ich schließe sie in meine Gebete ein und wünsche ihnen an jedem einzelnen Tag, dass sie irgendwann in Freiheit leben werden. So wie jeder Mensch auf dieser Welt das verdient hat.
Aber meine Geschichte ist nicht nur meine Geschichte. Meine Freiheit ist nicht nur meine Freiheit. Mein Glück soll nicht erbaut sein auf dem Unglück anderer Menschen, die ich liebe und eins tue ich sehr: die Menschen, die mich mein Leben begleiten, lieben. Es ist eine meiner größten Schwächen, die Liebe für sie. Egal was war und egal was sein wird: Ich werde niemals einen anderen Weg als sie einschlagen. Ich liebe meine Familie.
Kinder brauchen Grenzen – JA Grenzen
Ja, ich will auch heilen. Nach vorne schauen und nicht wieder zurück. Es gibt noch sehr viel alten Schmerz in mir. Aber wenn ich auf meine Zukunft blicke, sehe ich ganz klar eine Botschaft: Es darf niemals mehr einem Kind aus der Angst seiner Eltern heraus hinzuschauen Leid zugefügt werden. Strafen, Drohen und Liebesentzug sind immer noch so weit verbreitet. Erst gestern kam mein Sohn aus der OGS und berichtete mir, dass er nicht raus durfte, weil er einen Tag zuvor seine Jacke auf Wunsch der Erzieher nicht angezogen hat.
Es ist gut, dass Kinder begrenzt werden. Ja, Kinder brauchen Grenzen. Aber keine sinnlosen Grenzen und Konsequenzen, die ihnen ihre intrinsische Motivation rauben. Ja-Grenzen! „Ich sehe, dass du noch mehr Fernsehschauen möchtest, aber du hast für heute genug geschaut. Jetzt machst du oder ich den Fernseher aus.“ Ich träume davon, dass wir damit beginnen hinter jedem kindlichen Verhalten, nachdem warum zu suchen. Dass wir endlich wegkommen von dem bösen Kind, dass etwas mutwillig macht. Hinter jedem Verhalten steckt ein unerfülltes Bedürfnis und ich war eins dieser Kinder, dass so sehr geliebt wurde und doch so vergessen wurde an zu vielen Stellen.
Ich will keine Vorwürfe machen. Ich möchte Eltern in die Arme nehmen und ihnen sagen, wir schaffen das. Ich verstehe dich, aber dieser Weg lohnt sich. Ich will meine Stimme nutzen. Ich kann sie nicht zum Schweigen bringen. Aber wie ohne meine Geschichte? Ich will zeigen, dass ich nicht perfekt bin, dass ich einen wirklich schmerzhaften Weg hinter und vor mir habe, aber dass wir ihn gehen können FÜR unsere Kinder.
Wir sind es, die einen Unterschied machen. Wir, die, die hinsehen. Wir, die, die sagen: SO kann es nicht weitergehen. Seit ich dieses kleine Mädchen bin, war dies immer der Satz, mit dem meine ganz Welt sich veränderte. Heute weiß ich überhaupt nicht mehr so richtig, wer ich eigentlich bin und doch merke ich, dass dies der Anfang etwas Neues ist.