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Erinnerst du dich noch an mich – Opa?

Es gab eine Zeit im Leben, in der war einfach alles in Ordnung. Die Erwachsenen waren doof und machten Mist, aber die stabile Basis gab es schon irgendwo zu finden. Die Großeltern übernahmen vieles und bei Ihnen konnte das Kind so sein, wie es war.

Heute gibt es diese Welt nicht mehr

Heute hat sich alles verschoben. Die Welt dreht sich anders herum und wir sind die, die für die inzwischen alte Generation in Form von Fürsorge und Gedanken aufkommen müssen, die heile Welt hat sich verabschiedet und Krankheit und Tod ist längst kein unbekannter Geist mehr. Kein Alptraum aus dem wir irgendwann wieder erwachen werden. Es sind Momente in denen das Herz stehen bleibt, die Adern gefrieren und die Luft für einen Moment weg bleibt. Es sind Momente in denen dieser bisher so irreale Geist, dir ziemlich lebhaft den Boden unter den Füßen weg reißt und du dir wünscht, du hättest ihn nie kennen gelernt.

Der Schatten eines Lebens

Wenn ich meinen Opa besuche, der immer derjenige war, der mich führte, der mich mit auf seine Reisen des Lebens nahm, mir seine Arbeit zeigte und mit seinem geschäftlichen Aussehen glänzte, zudem ich ein halbes Leben lang auf sah, weil er aus nichts eine berufliche Karriere zauberte, frage ich mich heute beim Betreten der Türschwelle ob er sich heute an diesem Morgen überhaupt noch an mich erinnern wird. Ich habe Angst vor dem Moment in dem er mich nicht mehr erkennt und sich nicht mehr daran erinnern wird, wer ich eigentlich bin, das er böse wird, weil ich in sein Reich einbreche, denn vermutlich bin ich irgendwann nicht mehr für ihn, als eine Fremde.

Meinen Sohn kann er nicht mehr zuordnen, er vergisst es sobald es ausgesprochen wurde. Es fällt mir zunehmend schwerer diese Bürde zu nehmen und mich dieser Situationen zu stellen. Jedes Mal kann es so weit sein. Jeder Tag kann der sein, an dem wir nichts weiter, als Fremde für ihn sein werden. Doch vielleicht, bin ich auch nicht mehr, als ein Egoist und mir fällt es nur so schwer, weil er in einer ganz anderen Zeit lebt, als wir. In einer Zeit in der die Welt noch in Ordnung war. In einer Zeit in der Edith, seine Frau, meine geliebte Oma, gerade einkaufen ist und jeden Moment die Kartoffeln aufsetzt. In seiner Welt ist sie nie von uns gegangen – zu stark der Schmerz, zu wehmütig die Erinnerungen an ihr gemeinsames Leben.

Lebt er in Frieden?

Lebt er in Frieden, weil er sich nicht erinnert? Oder wird der Kopf zunehmend dunkler, hin zu einem schwarzen Loch? Was wissen wir schon? Wir wissen es nicht, die Demenz ist noch zu ungewiss um genau zu verstehen, wie sich der Betroffene im Geiste fühlt. Mögliche Ursachen sind erwähnt, aber nicht 100 Prozentig sicher und doch wissen wir eins ganz gewiss, es bleibt ein Mensch.

Ein Mensch dem das Denken, das Erinnern schwer fällt, doch das Leben nach wie vor in seinem Herzen trägt. Ein Mensch, dessen Rücken harte Arbeit trug und dessen Hände Spuren zeichnet. Diesem Mensch gebürdt Respekt. Er ist Teil unseres Lebens, wie du und ich.

Ihm nützt es nichts auf seine Lücken hingewiesen zu werden. In dieser kostbaren Zeit, in der wir Teil seines Leben sein dürfen, sind wir Teil seiner Zeit. Wir dürfen ihn nicht raus reißen, in eine Zeit in der er keinen Platz findet. Wir müssen mit ihm singen, lachen, erzählen, all die Momente mit seinen Augen erleben, denn wir haben nur dann einen Platz in seiner Welt, wenn wir Teil seiner Geschichte werden. Wir sind zu Gast und werden nie wieder mehr, als das sein, so schwer es auch ist, dies zu ertragen umso schwerer ist es zu begreifen, dass das eigene Leben wie Sand durch die eigenen Finger rieselt und es nicht mehr aufzuhalten ist, denn so muss es für ihn sein, so muss es für die Betroffenen sein, wenn wir sie grob in unsere Welt zurück zerren, mit den Worten “Nein, deine Frau lebt nicht mehr”, weil wir es nicht ertragen können zu vergessen.

Ein sehr guter Buchtipp zu diesem Thema ist das Buch von Lisa Genoca, Mein Leben ohne Gestern, welches genau dieses Thema, aus der Sicht einer Betroffenen aufarbeitet bzw. darlegt.

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