Liebes Leben, wohin führst Du mich nur?

Leben während Corona

Vor mir mein Laptop. Neben mir Musik, die mein Herz zum Tanzen bringt. Am liebsten würde ich just in diesem Moment aufstehen und die Hände hochreißen. Lostanzen. Tanzen war schon immer mein Instrument, um glücklich zu sein. Ich liebe es so sehr mich zur Musik zu bewegen. Und ich hatte Pläne für dieses Jahr. Viele Pläne sogar. Ich wollte wieder tanzen. Rauf auf die Bühne, wenn es gut läuft. Ich wollte mir selbst die Botschaft übermitteln: Es ist nie zu spät für Dich. Für Deine Träume. Dein Leben. Aber stattdessen beschäftige ich mich seit fast acht Monaten mit dem Gefühl, wie es sich anfühlt, nicht planen zu können und was dies mit mir macht. Mein Leben ist seit acht Monaten eine Berg- und Talfahrt. Ich habe so viel aufgeschoben, zu viel gegessen – zu viel getrunken und doch so viel über mich dazugelernt. Über das was zählt. Meine Träume. Unsere Gesellschaft, meine Werte. Ich kenne nun noch besser meine Werte, die mich antreiben und ich habe den Hauch einer Ahnung davon bekommen, wo ich hin möchte.

Zu Beginn dieser Krise riss es mir den Boden unter den Füßen weg. Plötzlich war da eine Macht, die über mir schwebte. Die Regierung ist dazu imstande, mir mein Lebenso wie ich es kannte und liebte, zu entreißen. Geschäfte zu, Schulen zu, Kitas zu und auf mir als Mutter eine unheimliche Last mich und meine Kinder durch eine noch nie vorher dagewesene Krise zu bringen. Ich meineWOW. Alles, was ich je dachte, was sicher seiweg. Einfach weg. Grundrechte? Außer Kraft gesetzt. Von einem Tag auf den anderen musste ich mir eingestehen, dass der Staat mehr Macht hat, als ich Rechte, wenn es um solch eine Bedrohung geht. Gesundheit vor Freiheit? Eine Konfrontation mit Werten und Moral unumgänglich, denn der Staat kann entscheiden im Wohle aller. Tag für Tag lernte ich mit einer unsichtbaren Gefahr oder eher Macht zu jonglieren. Dabei war mir die Angst hinter dem Virus nicht neu. Ich kenne und bin vertraut mit Tod und der Gefahr des Lebens, aber plötzlich war da noch mehr. Die Welt entschied sich dazu viel in Kauf zu nehmen, um die Menschheit vor Corona zu beschützen. Das war neu, denn man entschied sich dafür andere über eine Klippe springen zu lassen für etwas anscheinend höheres und das schlimmste? Eine Diskussion darüber durfte nicht stattfinden. Ich sah Menschen alleine sterben. Ich sah psychisch instabile Menschen entgleisen. Ältere und kranke Menschen, die sagten, flehten und hinausriefennimmt mir diese Entscheidung nicht ab so leben zu müssen. Es passierte viel und am Ende kamen wir als Gesellschaft doch besser durch diese Krise, als wir vielleicht zunächst annahmen. Vor kurzem begangen drei Jugendlichen einen gemeinsamen Suizid, was uns zeigt, nicht alle kommen gut durch diese Krise. Ich finde es wichtig, das aussprechen zu dürfen. Und ich denke wir sind zum Glück wieder an einem Punkt angekommen, wo wir beiden Seiten Raum lassen können. Wir haben jetzt die Chance Gefühlen Bedeutung als Gesellschaft schenken zu können. Du bist traurig? Das ist kein Privileg für schlechter aufgestellte. Es ist dein Recht in dieser Krise traurig sein zu dürfen und die Gesellschaft muss lernen dies aushalten zu können ohne es verstehen zu müssen oder gar nachempfinden zu können. Nicht jeder ist traurig. Manche trotz schlimmster Verluste vielleicht nicht, aber das ändert nichts daran, dass wir alle unterschiedlich sind. Mehr als seine eigene Meinung anzuhören, das sehe ich als wirkliche Chance in dieser Krise, denn um eines geht es hier gewiss nicht in meinen Augen, ums recht haben. Es geht in meinen Augen darum, den Blick nach innen zu kehren und sich darüber bewusst zu werden, was macht diese Krise eigentlich mit mir und warum?

Impfen ja oder nein? Lasst uns diskutieren, aber doch nicht anderen Menschen vorwerfen sie seien am Ende daran Schuld, wenn jemand sterben muss. Eine offene Debatte über Ängste und Unsicherheiten lässt in meinen Augen viel mehr wachsen als Druck und ein schlechtes Gewissen Schuld an dem Tod eines anderen Menschen zu sein. Und lasst uns auch Vertrauen in Menschen entwickeln, die Entscheidungen treffen. Eventuell wird es einen Impfzwang geben. Eventuell aber auch nicht. Fakt ist: wir wissen es noch nicht.

Das Gesundheitssystem droht zu überlasten. Neu oder bekannt? Menschen sterben, weil wir keine Kapazitäten haben. Neu oder bekannt? Gar nicht so neu, aber aufgedeckt und nah an jedem von uns, wie noch nie. Eine Chance, endlich unser Gesundheitssystem und die darin Beschäftigten gesellschaftlich und vor allem persönlich neu zu bewerten. Weg von den Arschabwischern. Hin zu dem, was sie sein können: Lebensretter, Freundin, Wegbegleiter, Helfer, Arme, Unterstützer, Licht und vieles, vieles mehr. Ich war schon alles, glaubt mit. Wir sind mehr als Menschen, die euren Popo gründlich reinigen können. Und das ist auch sicherlich nicht die schwierigste Tätigkeit als Pflegende. Wie oft musste ich mir anhören, wie kannst du das nur tun? Wie schaffst du das nur? In dem ich es einfach mache, denn den Po sauber zu machen ist wahrlich nicht die größte Herausforderung. Überlegt mal wie ihr über Pflegende denkt und dann berücktsichtigt die Tatsache, dass es aktuell so aussieht, dass wir von allem genug haben, nur eben nicht von den früher so liebevoll genannten Arschabputzern, die unsere Geräte bedienen. Grund genug, unsere Haltung gegenüber Pflegekräften zu überdenke, findet ihr nicht?

Kurz vor Corona stöberte ich in meiner liebsten Buchhandlung nach einem neuen Buch, während neben mir die Buchhändlerin eine andere Kundin beriet. Das Gespräch fand so nah an mir statt, dass ich nur zuhören konnte und so hörte ich mit. Die Kundin suchte ein Buch für ihre jüngste Tochter. Dabei wurde ihr ein Buch empfohlen von einer Krankenschwester, die ihren Werdegang sehr eindrucksvoll beschrieb. In den Nachgang setze sie dann aber gleich noch: „Nicht, dass ihre Tochter SO einen Beruf machen möchte. Aber es ist sehr gut geschrieben.“ Ich dachte mir unwillkürlich, warum musste sie das hinter hersetzen? Wir haben jetzt die Möglichkeit, nicht nur für uns als Gesellschaft gewisse Dinge neu zu bewerten. Nein jeder von uns erhält die Chance, wie möchte ich gewisse Dinge, Personen, Menschen sehen und für mich in meiner Welt wahrnehmen? Und das ist eine Chance. Eine echte Chance, denn wir können damit beginnen über uns selbst hinauszuwachsen.

Pläne wurden aufgeschoben. Lebensziele vertagt. Familie vermisst und vielleicht auch begraben. Das ist schlimm. All das macht etwas mit uns. Mit mir hat es viel gemacht, aber vor allem hat es mir eins gezeigt. Ich kann etwas bewirken. Während draußen immer noch Unsicherheit herrscht, Angst vor dem Virus und möglichen unfassbar tiefreichenden wirtschaftlichen Schäden, die wir aktuell nicht einmal überblicken können, kann ich für mich entscheiden, was ich bewirken kann, um mir selbst ein gutes Leben zu schenken. Ich kann mir eine gute Zeit machen ohne offene Geschäfte, Freunde & Familie und Hobbys. Es liegt nicht alles an anderen, sondern an mir. Ich kann etwas bewirken. Ich kann endlich einmal hinhören und mich fragen, was mir guttut. Ich kann lernen, ohne Konsum auszukommen und mich fragen wie ich zu Konsum stehe. Ich kann mich fragen, welche Werte mir wichtig sind und mich antreiben. Ich habe jetzt die Chance zu erfahren, was mir wichtig ist und dahinein lauschen zu dürfen ohne Druck. Ich kann mich Fragen und Hinterfragen wie die Beziehungen in meinem Umfeld aussehen und was mich davon stärkt oder gar schwächt. Ich habe, wenn ich mir bewusst mache, wie viel Macht ich außerhalb der politischen Entscheidungen selbst jeden Tag noch in meinen Händen halte einen unfassbaren Schatz gefunden. Eine Schatzkiste, die ich nun über die nächste Zeit öffnen kann und ganz in Ruhe auf mich wirken lassen darf.

Was brauche ich wirklich in meinem Alltag? Wer will ich sein, und wie denke ich über mich selbst? Ich kann damit beginnen mir selbst Vertrauen zu schenken, für das was noch kommt und müssen mir andere sagen, dass alles wieder gut wird? Oder kann ich lernen Verantwortung für meine Gedanken zu übernehmen? Raus aus der Abhängigkeit mit anderen, die mir sagen ob und wann. Das kann auch ich selbst mir geben. Vielleicht ist dies unsere Chance auf uns selbst wieder hören zu lernen.Damit meine ich keine fanatische Weltsicht, die dafür kämpft Corona als halb so schlimm anzuerkennen. Oder als die Bedrohung schlechthin. Darum geht es mir nicht. Weder in die eine, noch in die andere Richtung. Ich meine damit gut zu mir zu sein und auch auf meine Gedanken acht zu geben. Meinen eigenen Weg einschlagen und vielleicht auch einmal etwas aufnehmen ohne es zu bewerten. Vielleicht müssen wirt auch lernen uns an die Regeln zu halten, aber nicht jeder Minute Corona zu schenken. Weg von dem was andere sagen, hin zu, was sage ich und wie frei bin ich in meinem tun und denken wirklich? Was macht mich aus und wo habe ich die Chance hinzugelangen ohne Corona oder auch mit. Ich bin mir sicher, dass wir alle weitaus mehr sind und noch mehr Potential in uns tragen, als diese Krankheit aktuell in unserem Leben einnimt.

Ich habe so unfassbar viel in dieser Krise über mich selbst gelernt, das ich fast ein bisschen dankbar dafür bin. Und nein, es war sicherlich nicht alles gut und wir haben auch unsere Verluste erleben müssen. Ich musste durch viele Täler. Habe insgesamt fast zehn Kilo zugenommen, weil ich meine Ängste und Einsamkeit durch Essen gefüllt habe, aber ich weiß nun wozu ich das Essen benutze. Ich habe gelernt hinzusehen und auf das zu reagieren, was ich mir selbst sagen möchte. Das war wahrlich nicht einfach und ich habe noch einen weiten Weg vor mir. Aber im Gegensatz zum Anfang des Jahres, kann ich nun wirklich behaupten, dass ich auf dem Weg bin und das ist ein Erfolg. Ein Erfolg der vielleicht 2020 zu dem Jahr überhaupt der letzten Jahre macht.

Wie war es für dich das Jahr 2020? Was musstest du für Erfahrungen sammeln? Hat dich diese Zeit geprägt? Musstest du lernen Abschied zu nehmen, andere Meinungen aushalten zu lernen, zu ruhen oder mit neuen Herausforderungen umgehen zu wissen oder ist im Grunde alles wie immer, nur anders?

 

 

Ich würde mich freuen, wenn du es mir anvertraust!
Deine Alina

Tags: Alltag, Corona, Hilf mir!, Leben, Leben während Corona
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Ich bin 34 Jahre jung. Mama von zwei Kindern. Einem Sohn (01/14) und einer kleinen Tochter (08/16). Gemeinsam leben wir am Stadtrand von Köln. Streifen durch die Wälder, kochen, backen und tanzen zusammen. Meinen Blog gründete ich an einem kühlen Februarmorgen im Jahr 2014, als ich nach der Geburt meines ersten Kindes wieder einmal dachte: "So wir mir, geht es sicherlich vielen anderen Eltern da draußen, wieso spricht denn keiner darüber?" In diesem Augenblick traf ich den Entschluss und offenbahrte meinem Partner: "Liebling? Ich blogge - jetzt!" und das war die Geburtsstunde meines Mamablogs. Schön, dass Du den Weg zu mir gefunden hast!
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