Es ist Sonntag. Das Wochenende war hart. Meine Arbeit zurzeit ist tatsächlich sehr anstrengend, da meine Bewohner unfassbar belastet wirken. Sie haben so viel strengere Auflagen als wir, sodass ich mich manchmal frage, ob das überhaupt fair ist Menschen so einzuschränken? Das sind Gedanken, die mir hin und wieder kommen, aber am meisten beschäftigt mich persönliche die Sorge um meine oder unsere Normalität. JA, ich freue mich darauf, wenn Corona nicht mehr solch einen beängstigenden Schatten durch unsere Gesellschaft wirft. Der Mundschutz zur Geschichte wird und nicht mehr die Gegenwart beherrscht. Als ich gelesen habe, dass Spielplätze wieder aufmachen habe ich sogar ein paar Tränen vergossen. Ist das zufassen? So sehr hängen wir an Dingen/Situationen oder Augenblicken, die sich doch bisher fast wie nichtige Kleinigkeiten angefühlt haben. Ich vermisse die Freiheit meine Familie und Freunde sehen zu dürfen, wann ich das mag, aber ich vermisse nicht den Druck sie sehen zu MÜSSEN damit sich mein Leben richtig oder gar wichtig anfühlt. Ich vermisse unsere Termine nicht. Die ganzen Autofahrten hin und zurück. Das frühe Aufstehen, wenn es morgens in den Kindergarten geht und den Druck den ich mir Tag ein Tag aus selber mache an diesen ganz normalen Tagen. Ohne Frühstück aus dem Haus? Auf keinen Fall – ich Rabenmutter. Zähne nicht geputzt? Jeder schwarze sein wird meine Schuld sein. Das Gesicht nicht richtig gewaschen? Die Erzieher informieren bestimmt irgendwann das Jugendamt, wenn sie immer noch den Sandmann in den Augen meiner Kinder sehen. Bekomme ich Rückmeldungen von anderem fällt so vieles davon gar nicht auf, weil meine Kinder ihre Sache eigentlich sehr gut machen. Nur in meinen Augen geht das alles noch viel besser.
So vieles nervt mich an unserem Alltag. Dabei bin ich es gewesen, die Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag komplett verplant hat. Am Wochenende bin ich es die traurig und missmutig dort sitzt, wenn kein großer Ausflug ansteht. Bleiben wir ein Wochenende zu Hause habe ich Angst oder gar Sorge etwas zu verpassen. Über meine sozialen Netzwerke sehe ich die großen Freundeskreisgruppen, die gemeinsam grillen oder die verrücktesten Sachen machen. Große Ausflüge mit Mutter, Vater, Kind sind keine Seltenheit, sondern gehören zum guten Ton. Ich bin erschöpft von all dem Zwang. Von all dem muss. Und so sitze ich hier in den stürmischen Zeiten und stelle jeden Tag etwas mehr und sicherer fest, was ich alles NICHT in meinem Leben brauche. WEN ich alles nicht vermissen und stelle zu allem Überfluss auch noch fest, dass es mit den Kindern daheim auch ganz gut ohne Kindergarten und Co funktioniert. Inzwischen mache ich meinen eigenen kleinen Kindergarten mit basteln und allerlei anderen Dingen. Die Kinder lachen, sind fordernd und machen nur die Hälfte mit. Ich lerne meine Erwartungen zurückzuschrauben. Lernen neues über mich und meinen Umgang mit Krisensituationen. Ich lerne Druck auszuhalten und auch rauszunehmen. Meine Gefühle kann ich inzwischen viel besser an meine Familie transportieren, als noch vor acht Wochen. Die meiste Zeit rede ich in Ich-Botschaften und tatsächlich, das hilft.
Es macht einen großen Unterschied in meiner Kommunikation mit meinem Kind, ob ich sage „Du bist mir zu laut„ oder“ Ich empfinde die Lautstärke hier im Haus gerade als für mich persönlich zu laut.“ Ich nehme das Fehlverhalten vom Kind und setze das negative Gefühl auf mein aktuelles Empfinden. Gefühle stehen jedem zu – auch einer Mutter und durch meine Art die Botschaft anderes zu verpacken wird sie nicht einmal für das Kind zum Problem. All das habe ich in den Wochen gelernt, weil ich Zeit für mich hatte. Ich habe sechs Bücher in sechs Wochen gelesen. Ich habe mir Zeit für mich genommen. Für meine Leidenschaft zu lesen. Habe mich dabei vollkommen verloren im Lesen, aber es ist nicht schlimm gewesen, weil es keinen Druck gegeben hat irgendwas wegschaffen zu müssen. Die Kinder sprangen auf unserem neuen Trampolin. Der Liebste sonnte sich, kochte oder ging zur Arbeit. Jeder durfte das tun, was er gerne macht, weil es keine anderen Dinge gab, die wichtiger waren in diesem Moment, als das, für was wir uns in diesem Moment entschieden habe. Keine Ablenkung. Keine Abwägung.
Und jetzt? Gehen die Termine langsam wieder los. Montag müssen wir wieder rausfahren. Freitags auch. Und ich merke, wie mich das stresst. Wie mein Kopf wieder dröhnt, weil er sich gegen diese Termine wehrt. Termine, die mir keine Freude machen. Projekte, die mir SO, wie ich sie umsetzen soll furchtbar missfallen. Ich möchte nicht früh aufstehen. Möchte eigentlich auch nicht, dass alles einfach wieder von vorne losgeht. Freiheit auf den Spielplatz zu gehen – ja, aber aus Freude und nicht aus Zwang, weil man einmal am Tag draußen gewesen sein MUSS. Ich habe diesen vorgegebenen Alltag so satt. Diese neidische auf rechts und links schauen und vergleichen. Gerade sind wir alle so herrlich gleich. Alle gehen wandern, machen Ausflüge mit dem Fahrrad oder basteln. Da gibt es keinen großen Unterschied zwischen den einzelnen Familien. Jeder versucht das Beste daraus zu machen. Die Ungewissheit wie und wann es weitergeht, schlaucht mich. Ich wünsche mir besser informiert zu werden und nicht so im luftleeren Raum zu schweben.
Ich möchte vorbereitet sein, wenn es wieder losgeht. Also eigentlich in mein altes Muster zurückkehren alles unter Kontrolle zu halten. Aber was wäre denn, wenn ich mich jetzt dazu entscheiden würde anders weiterzumachen. Loszulassen? Es wäre nur eins gewiss – es wird nie mehr so sein wie es zuvor war. Ich denke, dies gilt ohnehin für uns alle.